Buchempfehlungen

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annette betz Verlag
978-3-219-11920-6
14,94 €

David Barrow

Elefant, wo bist du?

Aus dem Englischen von Bernd Stratthaus. Ab 3 Jahren

Im Frühjahr und im Herbst treffen in den Buchhandlungen fast täglich neue Bücher ein, auch Kinderbücher. Nicht immer bleibt man verzückt stehen, wenn man ein neues Bilderbuch entdeckt. Bei Elefant wo bist Du? kann man allerdings nicht anders: man MUSS sich diese Geschichte um ein ganz besonderes Versteckspiel schmunzelnd von Anfang bis zum Ende ansehen – und dann gleich noch einmal von vorn!

Ein kleiner Junge im gelben Hemd und sein Freund, ein wirklich großer Elefant, wollen sich miteinander die Zeit vertreiben. „Möchtest Du Verstecken spielen?“ fragt der Elefant den kleinen Jungen. “Aber ich warne dich”, fügt der Elefant hinzu, “ich bin WIRKLICH gut darin!“ Begeistert hält sich der Junge die Augen zu und beginnt, bis 10 zu zählen. Und es ist ganz unglaublich, WIE gut sich der Elefant versteckt! Ob als Lampenschirm, nur knapp verborgen unter der Bettdecke, während der Junge ihn unter dem Bett vermutet und natürlich nicht findet, oder als Halter des Fernsehers, auf dem der Vater sich gerade ein Fußballspiel ansieht: Für seinen kleinen Freund scheint der riesige Elefant unsichtbar geworden zu sein.

Ratlos und fröhlich aufgeregt sucht und sucht der kleine Junge immer weiter, und bis zum Schluss ist nicht wirklich klar, ob hier einer dem anderen vielleicht einen Gefallen tut oder ob man manchmal wirklich den Elefanten vor lauter Bäumen nicht sieht?!

In warmen Farben und mit grobem, aber aussagekräftigem Strich wird hier eine herrliche Variante vom beliebten Versteckspiel erzählt. Und als am Ende die Schildkröte zu den Freunden stößt und augenzwinkernd ein neues Spiel vorschlägt, ist vermutlich schon allen Beteiligten klar, was jetzt kommt: Fangen spielen natürlich. Und die Schildkröte macht sich bereit und warnt ihre Mitspieler schon mal vor: „Ich bin ZIEMLICH gut!“ Für Kleine ab 3 Jahren und ihre VorleserInnen eine wirklich hinreißende Bilderbuchentdeckung!

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt

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Anna Mayr

Die Elenden

Hanser Berlin
978-3-446-26840-1
22 €

Wie kommt es eigentlich, dass Arbeitslose in unserer Gesellschaft keinen Platz zu haben scheinen? Anna Mayr geht dieser überaus aktuellen Frage nach, indem sie einerseits kulturgeschichtlich bis zu den Ursprüngen der Verachtung für Arbeitslose vordringt und andererseits in ihrer eigenen Geschichte als Kind von Hartz-IV-Empfänger:innen das seltsame und scheinbar undurchdringliche Gemisch aus moralischer Ablehnung und sozialer Isolierung erforscht, mit denen Arbeitslosen bis heute in Deutschland begegnet wird. Mehr noch: Ihnen wird die Möglichkeit abgesprochen, eine Identität auszubilden und ihrem Leben Orientierung zu geben. Das Ergebnis von Mayrs Recherche ist das überzeugende Plädoyer für ein Umdenken.

Mayrs zentrale These findet sich bereits im Untertitel: Arbeitslose werden in unserer Gesellschaft als faule, ungebildete und schlampige Parasiten verachtet. Sie haben keine Funktion in der Gesellschaft, und ihnen wird damit jedes Recht auf Teilhabe abgesprochen. Arbeitslosen wird nachgesagt, sie könnten nicht mit Geld umgehen – statt ihr weniges Geld sinnvoll und nachhaltig einzusetzen, kauften sie davon Alkohol, Drogen und ungesundes Essen – würden zu viel fernsehen und seien insgesamt an nichts als ihrem eigenen Wohlbefinden interessiert. Letztendlich, so das zentrale Stereotyp, das Mayr beschreibt, seien sie selbst schuld an ihrem Schicksal. Sie könnten ja schließlich etwas Vernünftiges lernen und ihr Geld selbst verdienen. Das mag in Einzelfällen stimmen, strukturell jedoch ist die Sache, wie Mayr, auf Marx zurückgreifend, überzeugend nachweist, anders: Es sind nicht die Arbeitslosen an ihrer Arbeitslosigkeit schuld, es ist die kapitalistische Gesellschaft, die systematische Arbeitslosigkeit erzeugt, damit ihr bei Bedarf stets genug billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, die jeden Job um jeden Preis machen. Erst durch die Existenz von Arbeitslosen kann es so billige Arbeitskräfte und folglich so billige Produkte und Dienstleistungen geben. Und dazu kommt eine nicht weniger wichtige Funktion: Erst Arbeitslose bestätigen den Sinn der Arbeit und dienen so als wichtige Abgrenzungskategorie, sind also auch aus dieser Perspektive eine zentrale Ressource für die kapitalistische Gesellschaft. Dabei wird ihnen durch perfide Mechanismen der Konkurrenzerzeugung die Möglichkeit genommen, sich zu solidarisieren.

Immer wieder lässt Anna Mayr den autobiografischen Hintergrund ihres Interesses an Arbeitslosigkeit einfließen: Sie wuchs auf als Tochter zweier Langzeitarbeitslosen und erlebte als Kind die Scham und das Gefühl, kein Recht auf Teilhabe zu haben, am eigenen Leib. Sie betont immer wieder, es sei eine Verkettung glücklicher Zufälle gewesen, die ihr ein Studium und den Eintritt ins Berufsleben ermöglicht hätten (heute ist Mayr Redakteurin im Politik-Ressort der ZEIT); das System allein hätte dazu geführt, sie ebenfalls in die Spirale aus Arbeitslosigkeit und Armut fallen zu lassen. Gegen Armut, so Mayrs Forderung aufgrund dieser Erfahrung, hilft letztlich nur Geld.

Der größte Verdienst von Mayr ist die Dekonstruktion der Vorstellung, nur Berufsarbeit könne dem Leben eines Menschen Sinn geben – und sei sie auch noch so sinnlos. Historisch zeichnet Mayr die Entwicklung dieser Sakralisierung der Arbeit nach; sie macht Stationen bei Walter Benjamin, Benjamin Franklin, Martin Luther, den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin und findet dann zurück in die Spätmoderne. Denn diese Vorstellung prägt bis heute unsere Gesellschaft und hat verheerende Folgen nicht nur für die, die aus der Leistungsgesellschaft „herausfallen“, sondern für das gesamte Sozialsystem. Mayrs Essay ist damit ein notwendiger und wichtiger Kommentar zu aktuellen Überlegungen für ein anderes Arbeitsverständnis.

Alena Heinritz, Innsbruck

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Matthes&Seitz, 22€

Ito Hiromi

Dornauszieher

übersetzt von Irmela Hijiya-Kirschnereit

Wer Hiromi Itos Dornauszieher liest, taucht in Welten ein, die von prosaischer Natur und gleichzeitig von höchster Poesie sind. Der Dornauszieher ist ein schillerndes, zwischen den Kulturen schwebendes Wunderwerk.

Im Zentrum steht die Ich-Erzählerin Ito, Dichterin wie ihre Autorin, Mutter dreier Kinder wie ihre Autorin, schließlich Ehefrau und Tochter, die zwischen Japan (hier leben ihre Eltern) und Amerika (hier leben Ehemann und Töchter) pendelt. Ito leidet an dieser Dauerverfügbarkeit (der jüngst auch Franziska Schutzbach mit Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit ein hochgelobtes Sachbuch gewidmet hat), aber Ito zu lesen macht eindeutig bessere Laune. Sie beschreibt dieses Leben zwischen pubertierenden Kindern, kränkelndem Ehemann und dementen Eltern mit unendlich viel Humor und mit unerschöpflicher Liebe zum Leben. Sie vereint dabei so viele Genres und verweist dabei auf so viel Literatur, dass man das Buch mühelos mehrmals lesen, aber eben auch einfach nur genießen kann.

Das ist vor allem deshalb möglich, weil Hiromi Ito eine Suchende bleibt, keine ihrer Kulturen gänzlich zu begreifen scheint, keine wie ein zerschlissenes Kleidungsstück ablegt, sondern pflegt. Etwa wenn sie zum Jizo, dem Dornauszieher, einem buddhistischen Schutzgott in Tokio, pilgert oder das magische Denken Japans liebevoll in ihr Leben integriert und in Beschreibungen münden lässt, die so surreal wie komisch und überhaupt voll bösem Witz sind.

So werden dem ermüdenden Alltag literarische, poetische, spirituelle Welten an die Seite gestellt und schon in den Kapitelüberschriften hart aneinandergeschnitten: „Wie, nach Überqueren des Ozeans, Pfirsiche geschleudert und Hügel überwunden werden“; „Ohr, höre! Die Einsamkeit des Plätscherns in der Urinflasche.“

Der Zauber, der von diesem Roman ausgeht, ist schwer zu beschreiben, denn er ist zugleich traumhaftes Märchen und bitterböser Bericht über unser Leben im 21. Jahrhundert. Hiromi Itos Buch, so schreibt Saito Minako, eine der prominentesten Literaturkritikerinnen Japans, „ob Gedicht, Essay, Roman oder Zwiegespräch, hat eine Wirkung, als läsen wir den Brief einer Freundin aus der Ferne“, und die Schriftstellerkollegin Kawakami Hiromi ergänzt: „All das Persönliche, das in diesem Buch ausgebreitet wird, ist ergreifend bis zum Niederknien, doch all dies widerfährt ja nicht nur der Autorin – man spürt eine grandiose Heftigkeit, wie sie über Frauen und Männer weltweit hereinbricht.“ Hiromi Ito zu lesen hilft, erweitert den Horizont und macht eindeutig gute Laune.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt

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S. Fischer
22 €

C Pam Zhang

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold

Die Sonne steht über dem welken, ausgebluteten Land, durch das sie sich wie zwei Schlafwandlerinnen bewegen, und nirgendwo ist etwas groß genug, kühlenden Schatten zu werfen. Lucy ist zwölf, sie ist die klügere von beiden, sie entscheidet, was zu tun ist. Ihre Schwester Sam ist nur ein Jahr jünger und sieht es nicht ein, sich bevormunden zu lassen. Aber es sind nicht allein Hunger und Durst, die sie vorantreiben, sondern ein Pflichtgefühl, das sie nach einem passenden Ort für das Grab ihres Vaters suchen lässt. Ihr gesamter Besitz besteht in den Wünschen und Hoffnungen der zigtausend chinesischen Einwanderer, die wie ihre Eltern zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Kalifornien gekommen waren, um ihr Glück zu suchen – und womöglich eine neue Heimat zu finden. Darüberhinaus verfügen sie lediglich über das, was ihr Vater ihnen überlassen hat oder was sie im Ort stehlen konnten: Proviant, eine alte Pistole, zwei Silberdollars und das Pferd, das die Kiste mit den Gebeinen trägt. Sie ziehen nach Norden. Dann nach Osten. Die Landschaft ändert sich indes nicht, die Berge sind geschmolzene Hügel aus Narrengold, in der Ferne tauchen die Umrisse eines verlassenen Bergwerkes auf, und als sie es erreichen, glauben sie, am flirrenden Horizont bereits das nächste zu erblicken. Doch ob nun Einbildung oder nicht: Bald genug müssen sie sich eingestehen, dass diese weite, verbrannte Leere, in der sie sich bewegen, ebenso rau ist wie die Menschen, auf die sie stoßen, Goldgräber, Indianer und umherziehende Vaqueros, die alle die gleiche Verzweiflung antreibt. Und es dauert nicht lange, da stellt sich Lucy die entscheidende Frage. „Was macht ein Zuhause zu einem Zuhause?“

Die chinesisch-amerikanische Schriftstellerin C Pam Zhang wurde für ihren 2020 im Original erschienen Debütroman von Lesern wie Kritikern aufs Höchste gelobt und schaffte es sogleich auf die Longlist für den Booker Prize. In ihrem Roman verwebt sie chinesische Mystik mit der harten Realität einer unerbittlichen Landschaft, die kaum bereit ist, einen Fehler zu verzeihen. Obgleich ihre Wortakrobatik an manchen Stellen etwas übertrieben anmutet, beruht Ihre Sprache grundsätzlich auf einem tiefen Verständnis epischer Prosa, doch wäre es vermessen, sie in Ermanglung eines besseren Beispiels mit Faulkner zu vergleichen, denn der Name C Pam Zhang steht bereits jetzt für einen eigenen, unverkennbaren Stil.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln

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Björn Kern

Secession Verlag
18 €

Kein Vater, kein Land

Lee ist aus der Stadt Richtung Osten geflohen, mit dem Kind, mit seinem Kind. Er will bei dem eigenen Vater Unterschlupf finden, sich verstecken und das Kind vor dem Jugendamt retten. Doch auch sein Vater ist fort, die Tür des Forsthauses im Sydower Forst mit einem Vorhängeschloss gesichert. Was nun?

Unerbittlich präzise ist die Sprache dieses Romans, in dem Björn Kern von Entwurzelung, von einer verzweifelten Suche nach Geborgenheit in so etwas wie Familie erzählt.

Da ist noch der Bauwagen auf dem Hof hinter dem Haus, eine letzte Zuflucht vor der Kälte und dem harschen, schafthohen Schnee. In der Nacht hört das Kind Motorgeräusche, Lee fürchtet, dass ihm die Beamten aus der Stadt gefolgt sind, doch das Auto entfernt sich wieder. Von einem Teil seines letzten Geldes hat Lee in der Tankstelle eine Kiste Milch für das Kind gekauft und hofft, in den Gefriertruhen des väterlichen Kellers Wild zu finden. Der Kellerschlüssel ist noch am gleichen Platz im Hasenkolben, die Truhen sind leer.

Mit dem alten Gewehr des Vaters, einer Sauer, mit einer neuen Kiste Milch und einer Rettungsdecke machen sich die beiden auf den Weg in den Osten, wo Lee den Vater vermutet: in der alten Schnitterkaserne im Luch. Zu gefährlich ist Wachter, der Nachbar im Bungalow mit den Doggen, er hat die beiden gesehen und ist schlecht auf die Familie, besonders schlecht auf den Großvater zu sprechen. Lee muss sich und das fünfjährige Kind retten, den Widrigkeiten des Lebens und der von den Menschen zerstörten Natur zum Trotz. Ihr Weg ist beschwerlich, aber sie sind zu zweit. Manchmal redet das Kind nicht, vor allem dann nicht, wenn es etwas nicht leiden kann, was der Vater macht. Fünf Tage sind sie unterwegs. Lee ernährt sich von rohem Fisch, geschossenem Wild, Toastbrot, das Kind bekommt Milch. Es fragt oft nach Mama, wo sie ist, ob sie auf dem Weg zu ihr sind. So lange, bis es sich nicht mehr an sie erinnert. Auch das sagt das Kind dem Vater.

Als sie bei dem Großvater ankommen, ist Lee verletzt. Sein Vater, kein stattlicher Mann mehr, ein magerer Greis in einem schmutzigen Latzkittel, verarztet Lee notdürftig und versucht seinen Enkel in ein Gespräch zu verwickeln. Der Junge verweigert das Sprechen. Am nächsten Tag ist der Großvater mit dem Kind verschwunden. Lee macht sich verzweifelt auf die Suche. Er wird seinen Sohn finden.

Die Dialoge zwischen Vater und Sohn sind von einer solchen Ehrlichkeit, dass die Kälte des Winters, die in diesem Roman ausnahmslos alle zum Frieren bringt, erträglicher wird. Jeder von beiden ist auf seine Weise schlau, der Vater in Dingen des Überlebens in der Wildnis, der Sohn im Erkennen des Unausweichlichen, das ihnen begegnet.

Was Björn Kern hier mit dem Weg durch die Kälte, in der kargen, fast nackt zu nennenden Sprache abbildet, ist die Sehnsucht der Söhne nach Liebe, und es ist diese Sehnsucht, die Lee und den Fünfjährigen am Leben erhält. Großartig und gleichzeitig auch gnadenlos.

Susanne Rikl, Frankfurt

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Colson Whitehead

Hanser Verlag
25 €

Harlem Shuffle

Das neue Buch des Pulitzer Preisträgers ist im Kern ein kurzweiliger Gangsterroman, angesiedelt im Harlem der 60er Jahre. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der versucht, so ehrlich wie möglich den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen.

Für seine Nachbarn und Kunden auf der 125th ist Ray Carney ein aufrichtiger Möbelhändler, der sich durch Fleiß aus der unteren Schicht der Gesellschaft hochgearbeitet hat, ein fürsorglicher Ehemann und Vater. Nur für seine versnobbten Schwiegereltern aus der schwarzen Oberschicht bleibt er der Emporkömmling mit fragwürdigem Familienhintergrund. Tatsächlich bekommt Rays Rechtschaffenheit kleine Risse, als die Geschäfte nicht so gut laufen, gerade jetzt, wo das zweite Kind unterwegs ist und die Familie dringend aus der beengten Wohnung umziehen müsste. Um sein Einkommen aufzubessern, vertickt Ray gelegentlich Hehlerware für seinen Cousin Freddy. Für Ray ist das kein moralisches Problem, er fragt nicht, wo die Ware herkommt, gibt sie weiter an diskrete Händler und kassiert seinen Anteil. Als Freddy allerdings mit einer Gruppe von harten Ganoven bei ihm aufkreuzt und ihm von einem geplanten Raubüberfall auf das Theresa Hotel, dem Waldorf von Harlem, berichtet, bei dem Ray das Diebesgut verhökern soll, muss er sich entscheiden: Anständig bleiben, Nein sagen und auf den Anteil verzichten oder das Risiko eingehen und kassieren. Aus Verpflichtung gegenüber seinem Cousin und auch aus Angst vor den Ganoven erklärt sich Ray bereit, die heiße Ware zu übernehmen. Doch dazu kommt es nicht, denn bei dem Überfall geht einiges schief, am Ende gibt es zwei Leichen. Um seine und Freddys Haut zu retten, muss Ray fortan neue Kunden bedienen: korrupte Cops, rachsüchtige Gangster und zwielichtige Geschäftsmänner mit guten politischen Verbindungen. Je mehr Schmiergeld fließt, je mehr Informationen in Hinterzimmern gehandelt werden, umso besser begreift Ray, wer die Stadt eigentlich regiert. Ray wird Teil dieser Parallelwelt und nutzt das Wissen für seinen privaten und geschäftlichen Aufstieg. So beginnt in Ray der innere Zwist zwischen Ray dem rechtschaffenen Geschäftsmann (the striver) und Ray dem Gangster (das, was schon sein Vater war: the crook), ein zunehmend gefährliches Doppelleben, das er mit allen Mitteln vor seiner Familie zu verbergen sucht. Welchen Preis wird Ray zahlen müssen, um diesem Dilemma wieder zu entkommen? Wer wird am Ende siegen?

Harlem Shuffle erzählt die Geschichte eines Mannes, der die Fesseln seiner Herkunft abzustreifen versucht, eine Familiengeschichte im Mantel eines spannenden Gangsterromans vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der 60er Jahre. Die Aufstände gegen Segregation, alltäglichen Rassismus, Korruption und Gentrifizierung sind die zentralen Themen, heute wieder ganz aktuell. Die Charaktere sind authentisch. Whitehead zeichnet keine Stereotype und bedient sich keiner Sozialromantik – eine Liebeserklärung an Harlem und seine Bewohner.

Andrea Schulz, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt