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Hanna Engelmeier
Trost
In vier Texten widmet sich die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier dem Thema Trost. Die hier versammelten Essays führen deutlich die Stärke dieser wieder beliebter werdenden Textform vor: Engelmeier verbindet kunstvoll und unterhaltsam textgenaue Betrachtungen, etwa von David Foster Wallace, mit assoziativen Sprüngen und herausfordernden Parallelisierungen. Eines der eindrücklichsten Beispiele dafür ist der letzte Text, der Adornos Kulturpessimismus und die notwendige Trostlosigkeit (im Wortsinn) nach Ausschwitz mit historischen, biographischen (Adorno) und persönlichen Betrachtungen zum Speiseeis kombiniert. „Kritische Theorie ohne Hörnchen ist in allererster Linie: angebracht. Mit einem Hörnchen in der Hand, das man nicht weglegen oder aufessen möchte, schreibt und kämpft es sich schlecht“, so schreibt Engelmeier selbst ihren Text kommentierend und davor zurückschreckend wie unakademisch und unterhaltsam zuvor das Sujet der privaten Kosenamen der Adornos behandelt wurde. Man muss sich hingegen weder für diese noch für Adornos Diabetes interessieren – wenn man es aber tut, erfährt man allerdings einiges –, um Engelmeiers Stil zu genießen. Aus einem breiten Wissens- und Kenntnisschatz schöpfend, der Pop- und Hochkultur gemeinsam umfasst, entsteht das Bild eines jungen Intellektualismus, der das bürgerliche Privileg einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung nicht verleugnet: „Alles, was ich erzählen kann, handelt davon, dass es für all das hier ja doch gereicht hat, für all das, was an Studium und Zeit für Lektüre in diesem Text steht und steckt.“ Engelmeiers starke Aufmerksamkeit für die Persönlichkeit eines Textes, für dessen Eigensinn und Stil, bricht den Universalitätsanspruch des Bildungsbürgerlichen ebenso kritisch auf wie die Komposition ihrer Sujets. Gibt es also doch einen Weg aus dem Elfenbeinturm?
Man muss nicht allen Betrachtungen zustimmen, um den Spaß am genauen Denken und gezieltem Ausbrechen mit der Autorin teilen zu können. Der Trost ist dabei für mich weniger ein Gefühl, das der Text vermittelt, als ein Textgegenstand, an dem sich große wie kleine Wellen brechen: das Murmeln eines Gebets kann wohl tröstlich sein, aber trösten können auch kleine bunte Dinos auf einem Pflaster. Die Setzung des Trostes als gemeinsames Thema betont, dass dem Persönlichen und Affektiven im semi-theoretischen Schreiben des Essays ein zentraler Platz zugeordnet werden kann, ohne dass sie von selbstkasteiender Autofiktion und dem Willen zur ratgebenden Selbstheilung angetrieben werden muss.
Theresa Mayer, Frankfurt a. M.
Esther Kinsky
Rombo
Es begann mit den Tieren. Erst danach drang tief aus der Erde jenes Geräusch hervor, das drohend wie ein Bergrutsch klang. Doch begonnen hat alles mit den Tieren.
Der 6. Mai 1976 war ein ausgesprochen heißer Tag im norditalienischen Friaul. Die Sonne brannte auf das Tal hinab, das Gras stand hoch und trocken auf den Wiesen, während der Gipfel des Monte Canin, ein steilaufragendes Kalksteinmassiv in den Julischen Alpen, noch immer von Schnee bedeckt war. Am Morgen war auf der einzigen Zufahrtsstraße zum Dorf eine überfahrene Carbon entdeckt worden, eine schwarze Schlangenart, die in der Gegend heimisch ist – und später wollen viele ein schlechtes Omen darin gesehen haben.
Alle Hunde im Dorf verhielten sich den Tag über unruhig und bellten, selbst die Ziegen gaben sich störrisch, und die Vögel schrien, als läge eine seltsame Vorahnung in der Luft. Allein die Mauersegler, die gewöhnlich zum Abend hin auftauchten, waren mit einem Mal verschwunden.
Mit der Dämmerung zog überraschend Wind auf, empfindlich kalter Wind, der von den Bergen blies. Und da, im rasch einsetzenden Dunkel, begann es, dieses Geräusch, il rombo, jenes tiefe, rollende Dröhnen, das aus dem Erdreich drang und allmählich zu einem derartigen Lärmen anschwoll, dass man, wie manche sich später erinnern würden, meinen konnte, der Berg stürze herab.
Kurz darauf tat sich die Erde auf. Ein Beben riss einen Spalt durch die Straße, ließ Mauern und Firste nachgeben, Menschen stürzten aus ihren Häusern, schrien Hilferufe oder die Namen ihrer Lieben in die Nacht hinaus, und erst Tage und Wochen später, nachdem zahlreiche Opfer zu beklagen waren, sollte sich die Erde wieder beruhigen. Und auch die Mauersegler kehrten zurück.
In ihrem neuen Roman Rombo verbindet die Autorin Esther Kinsky die Darstellung einzigartiger Naturgewalten mit Landschaftsbeschreibungen sowie den persönlichen Erinnerungen einer Handvoll Menschen, die sich auf teils völlig unterschiedliche Weise an die Geschehnisse von damals erinnern – oder diese zu verdrängen suchen, da, wie sich eine Person ausdrückt, das Vergessen-Können zuweilen erstrebenswerter sei.
Keines der drei Themen steht dabei für sich, alles ist auf gelungene Weise miteinander verflochten und die Wahl der Sprache, die Esther Kinsky für ihre Zusammenschau ausgewählt hat, mutet auf den ersten Blick nüchtern und beinahe ausdruckslos an, vermittelt jedoch genau den richtigen Klang und liest sich in einer einzigartigen Kurzweil. Man muss sich daher hüten, auch wenn es schwer fällt, nicht zu schnell zu lesen, denn bereits nach wenigen Kapiteln findet man sich als Leserin und Leser gefangen in dieser überwältigenden, archaisch anmutenden Welt, die die Autorin heraufbeschwört.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln
Tomer Gardi
Eine runde Sache
23 €
Ausgezeichnet mit dem Leipziger Buchpreis 2022
Im ersten Teil des Romans wird Tomer Gardi von dem Intendanten eines großen deutschen Theaters und dessen ebenso deutschen Schäferhund durch einen Wald gehetzt. Eigentlich hatten beide zusammen einen Tag auf der Yacht verbringen wollen: ein Missverständnis, ein Wortspiel. Die Yacht verwandelt sich in eine Jagd, der geladene Gast Tomer wird wie selbstverständlich vom Freund zum Beutetier. Das antisemitische Mordvorhaben entpuppt sich als die wahre Bedeutung des Geschehens, und das Allegorische, Homonyme und Symbolische gewinnt die Überhand. Das gewährt Gardi (als Autor) die Möglichkeit, alle Register seines überdrehenden, halsbrecherischen Humors zu ziehen. Was folgt, ist eine beschwerliche und vergebliche Reise zurück in das, was man Normalität nennen könnte. Märchen- und Sagenfiguren des deutschen Mythologie-Fundus kreuzen die Geschichte, die in einem quasi-biblischen Arche-Szenario gipfelt, in dem jede Figur, auf ihren symbolischen Gehalt reduziert, der Erlösung entgegenschippern soll. Die Figur Tomer Gardi verweigert die Zuschreibung des Ewigen Juden, seine Geschichte ist die des hart erlernten Misstrauens gegen jede Art von Zivilisation und Mitmenschlichkeit als Selbstverständlichkeit. Eine Abenteuer- und Schelmengeschichte, in der sich hinter jedem Witz Abgründe auftun. Geschrieben ist dieser Teil des Romas in dem idiomatischen Broken German, für das der israelisch-deutsche Autor bereits bekannt ist.
Das ändert sich in der zweiten Hälfte des Romans, der ursprünglich auf Hebräisch verfasst und von Anne Birkenhauer ins Deutsche übersetzt wurde. Hier beginnt eine neue Geschichte – oder ist es die gleiche Geschichte in neuem Gewand? Auch bei der biographischen Darstellung des Lebens des indonesischen Malers Raden Saleh Syarif Bustaman, der als Kind eines Adligen von den niederländischen Kolonialherren aus machtpolitischen Gründen adoptiert und ausgebildet wird, begegnen wir einer Engführung von Kultivierung und Aneignung, von Misstrauen und Selbstbehauptung. Wie Tomer Gardi (die Figur und der Autor) ist auch Raden Saleh ein Künstler. Er erlernt von seinen europäischen Lehrern den flämischen Realismus der großen Schifffahrtsszenerien. Der in diesem Teil realistisch gehaltene Prosastil Gardis reflektiert das. Mit der Zeit beginnt Saleh, diese Mittel gegen die Deutungshoheit der Kolonialisten zu wenden und damit mit der Glorifizierung der Seemacht Niederlande, dem politischen Untergrund dieser goldenen Kunstzeit, zu brechen.
Darin eine Runde Sache zu erkennen, liegt jedoch alles andere als auf der Hand: Am Ende hat man das Gefühl, zwei völlig unterschiedliche Romane gelesen zu haben. Das gemeinsame Thema, die Zwiespältigkeit deutscher und europäischer Kultur in der ihr inhärenten Bedrohung, Annihilation und Aneignung des Anderen, wird erst in der Rückschau deutlich, und das gehört zu den herausragenden Langzeitwirkungen des Romans. Zunächst liest man diesen als einen halb surrealen, halb realistischen Unterhaltungsroman, dem weder sein poetischer Anspruch noch seine hochpolitischen Themen die Leichtigkeit nehmen. Wer den Erstling des Autors, Broken Germa, noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen, aber es könnte mit Recht behauptet werden, dass es sich bei diesem neuen Roman um das bisher beste Werk des Autors handelt. Völlig zu Recht wurde er deshalb in diesem Jahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse (Belletristik) ausgezeichnet.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt
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edition Suhrkamp 2016
Zeitschrift Ostruopa 7/21 BWV Verlag
„der Krieg bringt seine eigenen Wörter hervor. Sie klingen scharf und kalt […]. Du legst fremde Wörter an, rollst sie auf der Zunge hin und her, spürst den metallischen Nachgeschmack. […] Plötzlich finden sich unter deinen Bekannten Einberufene, Vewundete und Gefangene. Du gewöhnst dich daran, dass die Sprache um Wörter dieses schwarzen Vokabulars erweitert wird, um Dutzende neuer Wörter, von denen jedes einzelne nichts anderes als Tod bedeutet.“
„Die innenpolitische Ordnung eines Staates und sein außenpolitisches Verhalten sind untrennbar miteinander verbunden. Das wissen wir seit Immanuel Kants Traktat Zum ewigen Frieden. Darauf gründet eine Interpretation der internationalen Beziehungen. Sie lautet: Je autoritärer die Innenpolitik, desto millitarisierter die Außenpolitk.“