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Die Leben des Jacob
Christophe Boltanski
Ein Zufallsfund vom Flohmarkt spielt dem Autor ein Album in die Hände, das ihn absolut fasziniert: Ein Jahr lang, von 1973-1974, hat sich ein gewisser Jacob B’chiri täglich in diversen Fotoautomaten fotografiert. Und nicht nur fotografiert, er hat sich inszeniert, den Gesichtsausdruck verändert, herumgeclownt, sich mit Sonnenbrillen und Hüten verkleidet, und all diese Automatenstreifen in ein Album geklebt. Er hat Ortsangaben in seinem Album hinterlassen, Adressen in ganz Europa, und die Aufforderung, sich im Falle eines Unfalls an das israelische Konsulat in Paris zu wenden. Mit diesem Album beginnt für den Autor eine endlos scheinende Spurensuche, deren allmähliche Erfolge abhängig von Zufällen sind und aus denen sich nach und nach das Bild eines Lebens ergibt, dessen Stationen vom tunesischen Djerba über Israel bis Paris reichen, geprägt von den Traumata des Verlusts der Heimat und der Erlebnisse im Sechstagekrieg, von gescheiterten künstlerischen Plänen, einer gescheiterten Ehe und schließlich der Tätigkeit, die ihn offensichtlich erfüllt hatte: Beerdigungsbeauftragter am jüdischen Konsulat, mit anderen Worten: Begleiter der Toten und Überwacher des Begräbnisrituals.
Jacob B’chiri ist bereits tot, als Boltansky seine Spur aufnimmt. Er beginnt notwendig spekulativ und setzt dann aus den Berichten der Kinder, der noch lebenden Verwandten, der Arbeitskollegen und Freunde das Bild eines Lebens zusammen, das aus vielerlei Gründen nur im Plural zu verstehen ist und in dem sich die Ereignisse des 20. Jahrhunderts spiegeln. So wie die Recherche ähneln auch die kurzen Texte, in denen die Geschichte erzählt wird, einem Puzzle, zusammengesetzt aus Spekulationen, Fakten, Begegnungen, Berichten. Die Leben des Jacob ist ein Buch, das betroffen macht und eine große Traurigkeit ausstrahlt, nicht zuletzt durch die sehr persönliche Annäherungsweise des Autors an einen Menschen, in dessen Leben die Geschichte einen tiefen, unheilbaren Riss hinterlassen hat.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.
Der Rechtsanwalt und Notar Dr. Julius Meyer lebte während der November-Pogrome 1938 im Grüneburgweg. 1940 schrieb er im Londoner Exil über das Erlebte. In seinem Bericht erzählt er von der willkürlichen Festnahme in seiner Frankfurter Wohnung, der Busfahrt zur Festhalle, den Schikanen und Demütigungen an diesem gefängnisgleichen Sammelplatz bis hin zum Transfer an den Südbahnhof. Von dort fuhren die Züge mit etwa 3.000 als Juden verfolgten Frankfurter*innen im Alter von 18 bis 60 Jahren in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau ab. Jochen Nix liest aus Dr. Julius Meyers Zeitzeugenbericht eindringliche Auszüge über dessen Verhaftung.
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