Was wird denn hier so gelesen? Zwei Buchempfehlungen!

 

Jean-Henry Fabre:
Erinnerungen eines Insektenforschers I
Souvenirs Entomologiques. Aus dem Französischen von Friedrich Koch. Mit Illustrationen von Christian Thanhäuser
Verlag Matthes & Seitz, 2010
291 Seiten, € 36,90

Jean-Henri Fabre, 1823-1915, war nicht nur Autodidakt und ein genialer Entomologe (Insektenforscher), sondern auch akribischer Wissenschaftler, Humanist, Poet, Philosoph, Künstler und félibre (Mitglied des okzitanischen Literaturkreises um Frédéric Mistral).
Er stammte aus einfachen familiären Verhältnissen. Seine frühe Kindheit verbrachte er auf einem Hof im Süden Frankreichs. Schon sehr früh unternahm er Streifzüge durch die heimische Flora und Fauna.
Durch mehrere Stipendien gelang es ihm, mit 17 Jahren Lehrer zu werden und neben seiner Berufstätigkeit weitere 30 Jahre Mathematik, Physik und Chemie zu studieren. Zudem nährte er seinen unstillbaren Forschungs- und Wissensdurst durch eigene stundenlange Naturbeobachtungen.
Neben Gedichten hat Fabre auch an die 80 Schulbücher verfasst. In Russland und in Asien ist er sehr bekannt, in Japan hoch verehrt als der Mann, der Wissenschaft und Literatur zu vereinen wusste.
1879, nach Jahrzehnten mit magerem & zeitweise unsicherem Einkommen (er hatte eine Familie mit 7 Kindern zu versorgen), kann er sich endlich seinen langersehnten Traum erfüllen: ein abgelegenes Grundstück am Rand eines kleinen Dorfes im département Vaucluse/Provence.
Hier kann er, im gänzlich verwilderten Garten, nun ungestört seine heißgeliebten Insekten beobachten. Auf diesem Anwesen hat er den größten Teil seiner siebzehnbändigen ’souvenirs entomologiques‘ verfasst. Ein außergewöhnliches Werk, sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus literarischer Sicht. In Fabres Beobachtungsgabe verbindet sich wissenschaftliche Genauigkeit, künstlerische Anmut und humane Bildung. Man ist tief berührt von Schilderungen über Insekten, die man bis dahin nur vage oder gar nicht kannte: Mistkäfer (‚der heilige Pillendreher‘), die mit unendlicher Geduld eines Sysyphos ihre Kugel den Hügel hinaufstemmen; Sandwespen, die in blitzartiger Schnelligkeit ihr Opfer lähmen, u.v.m.
Dem Wegbereiter der Ökophysiologie und Autodidaktem begegnen seine wissenschaftlichen Zeitgenossen jedoch oft mit Skepsis und Misstrauen. Seine leidenschaftliche und minutiöse Beobachtungsgabe revolutionierte die wissenschaftlichen Gepflogenheiten seiner Zeit, die sich bis dahin eher durch Beobachten am toten Tier in Ammoniaklösungen und dem Erstellen von unbewiesenen Theorien ergingen.
Es gab aber auch viele Bewunderer: Charles Darwin: "ein unnachahmlicher Beobachter", Victor Hugo: "der Homer der Insekten", Romain Rolland, Ernst Jünger, John Stuart Mill.
Seiner Zeit weit voraus (erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gelang es Forschern, Fabres Beobachtungen mit Hilfe modernster Technik zu prüfen und ihre Richtigkeit zu bestätigen), blieb er sein Leben lang dem einfachen, bescheidenen Leben tief verbunden.
Als Leser fiebert man mit ihm und sieht sich förmlich neben ihm durch seinen Versuchsgarten kriechen, die sengende Sonne im Rücken, die betäubende Musik der Grillen und Zikaden in den Ohren. Der Verlag Matthes & Seitz und der Übersetzer Friedrich Koch haben sich der ambitionierten Aufgabe gewidmet, bis 2015 sämtliche ’souvenirs entomologiques‘ in 10 bibliophilen Bänden zu edieren. Bis heute erschienen in deutscher Sprache nur kleine Auswahlen seiner Texte.
Eine nach mehr als 100 Jahren würdige Ehrung des "Homers der Insekten
Chantal Gissel
 
Einen Blick in den Insektengarten von Jean-Henri Fabre gibt es: hier …
und hier geht es zur Website des Matthes & Seitz Verlags.

 

Carl van Vechten: Parties
Aus dem Amerikanischen von Egbert Hoermann
Verlag Walde + Graf, 2010
geb. 271 Seiten, € 24,95

Was ist das für ein wunderschön gestaltetes literarisches Buch! Der bibliophile Anspruch des kleinen, jungen Zürcher Verlags, Kunst und Literatur miteinander zu verbinden, nimmt einen bei der Lektüre mit Entzücken ein. Wann mag man schon einmal die Gestaltung der Paginierung bemerken und wann in einem Roman den besonderen Druck der Kapitelanfänge und die Vignetten loben? Doch vielleicht sollte man vor den Vignetten erst einmal überhaupt die erstklassigen, perfekt stimmigen, dekadent anmutenden Illustrationen von Maurice Vellekoop erwähnen! Armin Abmeier, nicht zuletzt bekannt als Herausgeber der „Tollen Hefte“ hat hier eine feine Reihe begonnen. Chapeau!

Den Inhalt des Romans verrät sein Untertitel. Es ist eine dekadente Gesellschaft, sehr elegant bewegt man sich am Abgrund, das Unheil der kommenden Jahre ist schon in Sicht: Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg. Parties, Alkohol-Exzesse, Sinnlosigkeit. Nur die Ironie der Betrachtung macht die Situation erträglich, die Lektüre allerdings ist ein großes Vergnügen. Und so schließt man sich gerne dem Urteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an: "Besser, härter, lustiger als jedes selbstveranstaltete Besäufnis."
Claudia Biester

Zur Verlagsseite, auf der es richtig viel zu sehen gibt, geht es: hier
und hier ist die: Leseprobe
Wenn Sie mehr Buchempfehlungen von uns lesen möchten, finden Sie unter www.kommbuch.com jeden Monat eine neue Auswahl, und in unserer Buchhandlung halten wir für Sie einen gedruckten Katalog mit den schönsten Empfehlungen aus 2010 bereit.