Buchempfehlung

Michael Maar

Schlange im Wolfspelz

Rowohlt Verlag
34 €

Wer hat sich beim Lesen eines Buches, einer Erzählung oder eines Gedichts nicht schon gefragt, warum ein Text berührt, amüsiert, in Bann schlägt oder langweilt? Natürlich gibt es neben den persönlichen Vorlieben auch etwas darüber hinaus, und das hat mit den Mitteln zu tun, mi denen ein Autor eine bestimmte Wirkung erzielt und wie souverän er sie handhabt – also mit dem Stil.

Aber was ist Stil in der Literatur und vor allem, was ist guter Stil? Auf über 500 Seiten (den Anhang nicht mitgezählt) erkundet der Germanist und Literaturkritiker Michael Maar dieses Thema auf unterschiedlichen Ebenen: Wortwahl, Syntax, Einsatz von Satzzeichen, Metaphern und was noch alles daran beteiligt ist, einen Text in Literatur zu verwandeln. Die Beispiele, die der Autor dazu heranzieht, stammen aus der Prosa wie der Lyrik, reichen von Goethes Wahlverwandtschaften über Keuns Das kunstseidene Mädchen bis Herrndorfs Tschick.

In den ersten drei Abschnitten des Buches geht Maar anhand von Beispielen verschiedenen Stilelementen nach. Im dritten, dem längsten Abschnitt, stellt er einzelne Autoren und deren Stilmerkmale vor. Abschnitt fünf befasst sich mit Lyrik, Abschnitt sechs mit erotischer Literatur.

Bei aller formalen Kritik, der Maar die jeweiligen Werke unterzieht, betont er aber immer wieder, dass es den EINEN guten Stil nicht gibt und die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch, zwischen souverän gebauten Sätzen und verschachtelten Bandwurmgebilden, zwischen originellen Bildern und quietschenden Metaphern oft sehr dünn ist. Maar ist in seinen Beurteilungen nicht zimperlich und stößt schon mal von mir persönlich geschätzte AutorInnen vom Sockel. Aber er verhehlt auch seine eigenen Stilvorlieben – Distanz, Ironie und Humor – nicht und räumt ein, dass der persönliche Geschmack bei der Bewertung von Texten durchaus sein Recht hat.

Meine persönliche Meinung zu Die Schlange im Wolfspelz ist: Wer es wie der Autor schafft, so viel überbordendes Material, so viel Wissen so souverän und unterhaltsam an den Leser zu bringen, schreibt mit Sicherheit einen guten Stil und ist nicht grundlos auf der Liste der für den Sachbuchpreis 2021 nominierten Autoren. Vergnüglicher als mit diesem Buch lässt sich jedenfalls das eigene Wissen, warum – jenseits persönlicher Vorlieben – ein Buch gefällt oder missfällt, nicht erweitern.

Ruth Roebke, Frankfurt