Winterjahrbuch
Love is hard enough without the winter – so das Motto
eines Kapitels in Jan Wilms Roman Winterjahrbuch. Der mit dem
Autor namensgleiche Philologe macht sich in diesem Debüt auf die
Suche nach Schnee, allerdings nicht in den Alpen, nicht in Kanada,
nicht im Himalaya, sondern ausgerechnet im palmengesäumten
Kalifornien, in Los Angeles. Hier hat nur ein einziges Mal der
Schnee-Fotograf Gabriel Gordon Blackshaw den Schnee mit seiner
Kamera fixiert.
Auf den Spuren dieses Fotografen forscht Wilm dank eines Stipendiums
im Getty Center. So zielgerichtet sein Antragsschreiben gewesen sein
muss, das Protokoll seines Daseins in Kalifornien atmet einen
anderen Geist: In einer äußerst poetischen Sprache, die sich ihrer
Konstruktion in jedem Satz bewusst ist, kreist der Roman um eine
einsame Figur und um die Dimensionen von Liebe: der Liebe zu
Menschen, zur Literatur und zur Literaturwissenschaft – sowie dem
Ende aller Liebe, dem Verlust.
Zahlreiche überraschende Verweise in das Winterarchiv der Literatur
finden sich hier, denen wir an diesem Abend folgen: Der Schnee fällt
nicht hinauf, meinte Robert Walser und Herta Müller notiert: Immer
derselbe Schnee und immer derselbe Onkel.
Jan Wilm ist Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer u.a. der Werke von Maggie Nelson. Als Literaturwissenschaftler arbeitete er an der Goethe-Universität Frankfurt und am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, promovierte mit einer Arbeit über J.M. Coetzee, bevor er 2019 mit seinem Roman Winterjahrbuch debütierte.
Miriam Zeh arbeitet nach einem Studium der Musik, Germanistik und Philosophie seit 2018 als freie Literaturkritikerin unter anderem für den Deutschlandfunk und ZEITONLINE und promoviert über Literatur als Arbeit.
Jan Wilm, Winterjahrbuch, Schöffling Verlag 2019, 24 €