Buchempfehlung – Yaa Gyasi „Heimkehren“

Dumont Verlag 22€

Neben dem in diesem Herbst überall besprochenen Roman von Colson Whitehead, der über den grausamen Umgang mit afrikanischen Sklaven in Amerika und über die Underground Railroad schreibt, ist ein weiterer aktueller Titel mit ähnlicher Thematik ausgesprochen lesenswert.

Die 1989 in Ghana geborene und in den USA aufgewachsene Yaa Gyasi verwebt in ihrem Roman Heimkehren auf packende Weise unterschiedliche Lebensgeschichten aus verschiedenen Epochen miteinander. Im Verlauf des Buches klingt am Rande immer wieder an, dass es sich um die verzweigte Familiengeschichte zweier Halbschwestern handelt, die im 18. Jahrhundert an der Goldküste Westafrikas geboren wurden, einander nie kennenlernten und deren Leben höchst unterschiedlich verlief.

Effias Eltern verkauften ihre Tochter zur Zwangsheirat an einen britischen Sklavenhändler. Esi hingegen wurde von Sklavenjägern geraubt, wie ein Tier gehandelt, verkauft, verschifft und landete als Eigentum eines gnadenlosen Gutsbesitzers auf den Baumwollfeldern im Süden der USA. Das unsägliche Leid der entwurzelten Menschen, die zu Arbeits- und Brutmaschinen degradiert, ausgebeutet und oft genug zum Vergnügen zu Tode gequält wurden, schockiert und berührt zutiefst.

„Amerika ist nicht das einzige Land, in dem es Sklaverei gibt. (…) Diese Art von Sklaverei gibt es bei uns aber nicht.“ sagt ein Ghanaer zu seinem Sohn an einer späteren Stelle des Romans. Diese Beobachtung fasst zusammen, dass das Schicksal, das die afrikanischen Sklaven in den USA erleiden mussten, oft von besonderer Grausamkeit war.

Gyasi geleitet uns sprachlich packend durch die Jahrzehnte, mäandert zwischen dem amerikanischen und afrikanischen Kontinent. Sie lässt uns eintauchen in das Leben der Kinder und Kindeskinder von Effia und Esi. Es fällt überhaupt nicht schwer, sich dem wunderbaren Erzählstrom hinzugeben, der trotz zeitlich eher schlaglichtartiger Einblicke in verschiedenste Lebensgeschichten eine große Nähe zu den Personen zulässt. Immer dann, wenn ein neues Kapitel, überschrieben mit einem neuen Namen, beginnt, kann man einen orientierenden Blick auf den Stammbaum im Anhang werfen. So weiß man jederzeit, auf welcher Zeitebene und in welchem Zweig der Familie man sich befindet. Gyasis Figuren sind zutiefst menschlich in ihrer Verletzbarkeit, Verzweiflung und Leidenschaft und kommen ohne Pathos aus.

Neben einer Berichtigung und Ergänzung kontinentaler Geschichtsschreibung bietet Heimkehren tiefe Einblicke in afrikanische Gesellschaftsstrukturen, ethnische Konflikte in der Zeit des florierenden Sklavenhandels an der Goldküste und in die besonderen familiären Zwänge traditioneller und teilweise polygamer Kulturen. Es geht aber auch um die viel universellere Feststellung, wie sehr unsere Herkunft, unsere Familiengeschichte und natürlich unsere Hautfarbe uns prägen. Bei aller Stärke, Durchsetzungskraft, Erkenntnis und Weisheit, der wir an vielen Stellen des Romans begegnen, gibt es doch keine Möglichkeit, sich der Geschichte zu entziehen. Wie eingeschrieben in die Gene tauchen Familienthemen bei Enkeln und Urenkeln nur scheinbar aus dem Nichts wieder auf.

Wenn es nicht so abgegriffen klänge, müsste man von großer Erzählkunst sprechen, an der uns die junge Ghanaerin Yaa Gyasi hier teilhaben lässt. Heimkehren steht Whiteheads prämierter Underground Railroad in nichts nach. Es ist ein großes Buch über Amerikas Geschichte, deren lange Schatten bis heute nachwirken und von erschütternder Aktualität sind.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt