Buchempfehlung – Chris Kraus „I Love Dick“

I Love Dick.
Matthes & Seitz, 22€

Spricht man wohlwollend über Literatur von Autorinnen, fallen nicht selten Sätze wie „Sie schreibt gänzlich unaufgeregt und distanziert“, ganz so, als habe man jede Autorin zunächst gegen ein grundlos wütendes oder rettungslos emotionales Schreckensbild weiblichen Schreibens zu verteidigen. Autorinnen (Leserinnen ebenso) wurde seit jeher vorgeworfen, das Geschriebene zu persönlich zu nehmen, die notwendig distanzierte künstlerische Haltung nicht einnehmen zu können. Mit ihrem Roman schreibt Chris Kraus gegen jegliche aus diesen Vorwürfen resultierende Selbstzügelung an. Ihr Roman ist ebenso persönlich, wie er radikal emotional ist.
Inhaltlich erzählt er von Chris Kraus und ihrem Mann Sylvère Lothringer, für die ein einziges Essen mit Dick, einem Kollegen von Sylvère, zum Ausgangspunkt für eine ebenso spielerische wie aussichtslose und radikale Liebesbesessenheit wird. Dick wird zum Adressaten zahlloser Briefe, die zunächst von dem Paar gemeinsam verfasst werden. Das Briefprojekt füllt bald das gesamte gemeinsame Leben der beiden aus, wird zum Dreh- und Angelpunkt ihre Beziehung zueinander und zur Welt. Dick selbst wird damit als Angesprochener überall präsent, wenn er auch als Person kaum auftaucht. Immer geht es in den Briefen auch darum, einen behaupteten Abstand zwischen künstlerischem Schaffen und Privatheit nicht gelten zu lassen. Chris Kraus kämpft dabei konsequent dagegen an, die Liebe zu Dick, die sie als Kunstwerk betrachtet, deswegen als nicht aufrichtig, als imaginiert bezeichnen zu lassen. Es gibt keine Grenze zwischen der schreibenden, der liebenden und der Autorin Chris Kraus. Notwendigerweise wird so auch Schizophrenie zu einem der großen Themen des Romans. Man könnte ihn als Versuchsanordnung, als Experiment absoluter Distanzlosigkeit bezeichnen, stünde man damit nicht in der Gefahr, gerade die tatsächliche Faktizität der Emotion wieder zu negieren und den Selbstschutz des rein Fiktiven wieder zu errichten. Dieser Roman ist auf allen Ebenen, stilistisch wie inhaltlich, ein Wagnis und unbedingt lesenswert.

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt